Das Bundeskartellamt und die Verfolgung von Kartellen

Complianceforum.de im Gespräch mit Herrn Kay Weidner, Pressesprecher, Bundeskartellamt

Complianceforum.de:
Sehr geehrter Herr Weidner, dass Bundeskartellamt bietet ein Kronzeugenprogramm für Kartellabsprachen an. Was kann man sich unter dem Kronzeugenprogramm vorstellen?

Kay Weidner:
Seit dem Jahr 2000 hat das Bundeskartellamt ein höchst erfolgreiches Kronzeugenprogramm (sog. „Bonusregelung“). Kartellanten, die sich dem Bundeskartellamt offenbaren und so zur Aufdeckung von Kartellen beitragen, wird unter bestimmten Voraussetzungen die Geldbuße erlassen oder reduziert. Einen vollständigen Erlass kann dabei nur der erste Antragsteller erwarten. Alle späteren Bonusanträge können nur zu einer Minderung der Geldbuße um bis zu 50% führen. Anträge können auch mündlich und/oder in englischer Sprache gestellt werden und es gibt die Möglichkeit, sich bereits unter Angabe einiger grundsätzlicher Punkte, einen Rangplatz zu sichern, einen sogenannten Marker zu setzen. Die Regelung macht es Kartellbeteiligten im Rahmen des Möglichen wirklich leicht, mit uns zusammenzuarbeiten. Für vertrauliche Gespräche in diesem Zusammenhang stehen die Mitarbeiter unserer Sonderkommission Kartellbekämpfung gerne bereit.

Im März 2006 haben wir die Bonusregelung überarbeitet und noch schlagkräftiger gemacht. Sie hat in den vergangenen Jahren zu der erfolgreichen Aufdeckung und Ahndung einer ganzen Reihe von Kartellen aus unterschiedlichsten Branchen geführt.

Nicht zuletzt aufgrund der hohen Bußgelddrohung finden Kartellabsprachen im Geheimen statt. Es herrscht hier ein hohes Maß an Konspiration. Für Kartellbehörden ist daher regelmäßig sehr schwer, eine Tat überhaupt zu entdecken und hinreichende Beweismittel zu sichern. Aufgrund der Kronzeugenregelung gibt es für Mitglieder eines Kartells einen veritablen Anreiz, uns gegenüber das Kartell aufzudecken.

Die Bonusregelung hat deshalb auch eine stark abschreckende Komponente. Die Kartellbrüder können sich nicht mehr sicher sein, dass ihre illegale Absprache unentdeckt bleibt. Die Stabilität von Kartellvereinbarungen wird dadurch wirksam geschwächt und in vielen Fällen kommen unzulässige Absprachen erst gar nicht mehr zustande. Die Bonusregelung ist daher ein unverzichtbarer Baustein einer präventiven, bereits auf die Verhinderung illegaler Kartelle ausgerichteten Wettbewerbspolitik.
 
Complianceforum.de:
Bei der Bonusregelung können die Bußgelder für die Teilnehmer an Kartellen erlassen oder zumindest reduziert werden. In welcher Höhe verhängt das Bundeskartellamt Bußgelder?

Kay Weidner:
Hält die zuständige Beschlussabteilung als Ergebnis der Ermittlungen und Anhörungen ein Bußgeld zur Ahndung und Abschreckung für erforderlich, wird ein Bußgeldbescheid erlassen. Die Geldbuße gegen die kartellbeteiligten Personen beträgt je nach Schwere der Tat und Besonderheiten des Täters bis zu einer Million Euro. Bei den Unternehmen wird unter Berücksichtigung von Schwere und Dauer der Tat ein Bußgeld in Höhe von maximal zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes verhängt. Tatsächlich liegen wir aber in den meisten Fällen deutlich unter diesem Wert.

Zwar werden zur Ahndung der Tat und zur Abschreckung zum Teil empfindliche Geldbußen verhängt, es wird jedoch stets die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen berücksichtigt, so dass durch die Kartellbußen kein Unternehmen in die Insolvenz getrieben wird. Weisen die Unternehmen Zahlungsschwierigkeiten nach, besteht die Möglichkeit von Ratenzahlungen oder einer Stundung der Forderung.
 
Complianceforum.de:
In der Broschüre „Kartellverfolgung“ wird berichtet, dass bei Unternehmensdurchsuchungen zwischen 50 und 900 Beamte der Kartell- und Polizeibehörden im Einsatz sind, in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls.  In einem Fall mussten 8 Millionen Dateielemente von IT-Spezialisten, sogenannten IT-Forensikern ausgewertet werden. Haben Unternehmen überhaupt eine Chance bei diesem massiven Aufgebot, belastende Dokumente zu verstecken?

Ich hoffe nicht. Unser Vorgehen ist in der Praxis aber weitaus zurückhaltender, als es diese Zahlen vermuten lassen. Die große Zahl der an einer Durchsuchungsaktion beteiligten Beamten erklärt sich schlicht durch die Anzahl der zeitgleich durchsuchten Unternehmen und Unternehmensstandorte.  Andererseits können wir natürlich auch nicht mit ein, zwei Leuten mit Aussicht auf Erfolg in der Zentrale  eines Dax-Konzernes vorstellig werden. Dass eine Durchsuchung des Bundeskartellamtes von einer Hundertschaft von Beamten durchgeführt werde ist nichts anderes als ein hartnäckiges Gerücht. Im Rahmen der Sicherstellung und Auswertung von IT-Dokumenten haben wir in den vergangenen Jahren aufgerüstet. Hier ist aber stetiger Nachholbedarf, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

Complianceforum.de:
Wenn die Ermittlungsbeamten schon im Unternehmen Richtung Vorstandsebene sind, gibt es noch die Möglichkeit für den Vorstand und die Geschäftsführung, die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen?

Kay Weidner:
Grundsätzlich gilt, dass ein Kartellbeteiligter einen Bonusantrag auch nach der Einleitung des Verfahrens und der Durchführung einer Dursuchung stellen kann, sofern er das Bundeskartellamt durch seine Informationen in die Lage versetzt, die Tat nachzuweisen und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Sofern es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kronzeugen gibt, kann der Antrag sogar in diesem Verfahrensstadium noch zu einem vollständigen Erlass der Geldbuße, jedenfalls aber zu einer erheblichen Reduktion führen.

 
Complianceforum.de:
Wird bei Kartellabsprachen nur die Geschäftsleitung in Haftung genommen oder können auch einzelne Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden?

Kay Weidner:
Einzelne Mitarbeiter können dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihnen klar war, dass sie eine illegale Kartellabsprache unterstützen. Vor diesem Hintergrund werden z.B. Vertriebsleiter, die bewusst an Kartellabsprachen teilgenommen haben, durchaus auch mit Geldbußen belegt. In der Regel fokussiert sich das Bundeskartellamt aber auf die Unternehmen und die Geschäftsleitung vor dem Hintergrund, dass diese am meisten von der Absprache profitieren.

 
Das Gespräch führte Christian Koch.

Bonn/München, den 22. November 2010